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Lean Controlling – Die entscheidenden Indikatoren richtig bewerten

 Autor: Christopher Nenninger

Dabei sind im wertstromorientierten Controlling (Lean Controlling) sehr einfach und schnell Verbesserungspotentiale sichtbar. Um einen besseren und tieferen Einblick in das Controlling zu erhalten, müssen wir uns zunächst mit seiner Geschichte befassen.

Woher kommt das Controlling

Das Controlling findet nicht, wie oft vermutet wird, seinen Ursprung im 20. Jahrhundert. Der Beginn liegt bereits viel weiter zurück. Schon 400 Jahre vor Christus gab es im römischen Reich die sogenannten Quästoren. Ihre Aufgabe war es, die öffentlichen Gelder des römischen Reichs zu verwalten und die zwei Konsulen, die zwei höchsten gewählten Beamten der römischen Republik, mit Informationen über die Verwaltung der Finanzen im ganzen Reich zu versorgen. Der heutige Begriff Controlling stammt vom Lateinischen „contrarotulus“, wörtlich übersetzt „Gegenrechnung“, und wird im Jahr 1242 zum ersten Mal in der Literatur erwähnt. 1274 wird in der englischen Literatur der Controller als „comptrarotulator“ erwähnt und ca. 250 Jahre später als „Comptroller“.

Von da an gibt es in der Literatur kaum Hinweise auf das Controlling, bis zur Gründung der USA. Im Jahr 1778 wurde im amerikanischen Kongress die Stelle des „Comptrollers“ geschaffen. Hauptaufgabe war es, das Staatsbudget zu überwachen und die Verwendung der Einnahmen zu verantworten. Mit dem rasanten Wachstum in den Anfängen der Industrialisierung gab es in den Vereinigten Staaten zahlreiche Unternehmensgründungen. Dieses exponentielle Wachstum wiederum führte zu einem starken Wettbewerb. Dadurch kam es zu einer weiteren Entwicklung im Controlling. Offiziell wurde die Stelle eines Controllers 1880 bei der Firma Atchison, Topeka and Santa Fe Railroad Company geschaffen. Danach folgte 1882 die General Electric Company. Trotz der wichtigen Funktion des Controllings blieb es jedoch aufgrund der rein verwaltenden Rolle eher unbekannt.

In den laufenden Jahrzehnten, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, war das Controlling hauptsächlich mit der Entwicklung von Planungs- und Budgetierungsinstrumenten beschäftigt. In dieser Zeit entstanden die aus der Betriebswirtschaft bekannten Werkzeuge wie zum Beispiel die Normalkostenrechnung. Manifestiert hat sich das Controlling erst durch die Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er und im Verlauf der 1930er Jahren. Der New Yorker Börsencrash 1929 hatte einen starken Rückgang der Industrieproduktion und des Welthandels, eine Deflationsspirale und Schuldendeflation, eine Bankenkrisen und die Zahlungsunfähigkeit vieler Unternehmen und massenhafte Arbeitslosigkeit mit großem sozialen Elend zur Folge. Die Weltwirtschaftskrise führte weltweit zu einem starken Rückgang der wirtschaftlichen Gesamtleistung, der entsprechend den spezifischen volkswirtschaftlichen Voraussetzungen der Einzelstaaten nach Zeitpunkt und Intensität unterschiedlich einsetzte. Sie dauerte in den einzelnen Ländern unterschiedlich lange und war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch nicht in allen überwunden. Durch dieses einschneidende historische Ereignis wurde das Überwachen aller betrieblichen Zahlen notwendig, da es in vielen Unternehmen im tatsächlich wortwörtlichen Sinn „auf den letzten Cent“ ankam.

Das „Controllers Institute of America“ (abk. CIA) beeinflusste die Entwicklung des Controllings maßgeblich. 1933 wurde vom CIA die erste offizielle Beschreibung der Controlling-Aufgaben erstellt. Diese wurde 7 Jahre später um weitere Punkte ergänzt und veröffentlicht. In Deutschland wurden erst in den 1950er Jahren erste Controlling-Plätze geschaffen. Zu Beginn stieß das Controlling auf massive Akzeptanzprobleme, was wohl hauptsächlich an der Bezeichnung „Controller“ lag. In den 1980er Jahren wurde dann allerdings die Notwendigkeit des Controllings zunehmend erkannt und es wurde eine Vielzahl von neuen Stellen geschaffen. Heute ist es nicht mehr vorstellbar, dass Unternehmen kein Controlling haben.

Herausforderungen an heutige Unternehmen

In den vergangenen 50 Jahren haben sich die Marktbedingungen weltweit drastisch verändert. In den 1950er Jahren war man noch dazu bereit, bis zu zwei Jahre auf ein neues Auto zu warten. Der Markt ist über die Jahre hinweg stetig schnelllebiger geworden. In den 1990er Jahren konnten die großen Versandhäuser wie Neckarmann und Quelle mit Lieferzeiten von vier Wochen ihre Kunden überzeugen. Heute erwarten Kunden, dass bestimmte Produkte innerhalb von 24 Stunden geliefert werden. Amazon Prime liefert zum Teil bei Bestellungen vor 20 Uhr am nächsten Tag. Der Online-Fotoshop Cewe verspricht bei Bestellungen bis 12 Uhr am 23.12. jedes Jahres eine pünktliche Lieferung aller Produkte zum Weihnachtsfest.

Der Markt hat sich von einem Verkäufermarkt durch eine Marktsättigung zu einem Käufermarkt entwickelt. Auf dem Verkäufermarkt ist das Angebot geringer als der Bedarf. Der Käufer benötigt das Produkt und ist vom Verkäufer abhängig. Der Verkäufer hat somit den Vorteil, dass er allein die Kaufbedingungen und damit die Preise regulieren kann. Eigene Unfähigkeiten oder Probleme werden einfach „eingepreist“. Das Ziel von Unternehmen in der heutigen sogenannten VUCA-Zeit ist es, auf dem stark umkämpften Käufermarkt wettbewerbsfähig und so innovativ zu sein, dass es Produkte oder Dienstleistungen bietet, die einen hohen Kundenwert versprechen. Die begrenzte Anzahl an Kundschaft macht es zudem notwendig, dem Konkurrenten einen seiner Kunden abzuwerben. Die Herausforderung ist es folglich, durch Begeisterungsmerkmale immer wieder den Wechsel vom Käufer- in den Verkäufermarkt zu schaffen. Dort hat das Unternehmen wieder eine Zeit lang ein Monopol. Damit stehen viele Unternehmen in einem enormen Konkurrenzdruck mit anderen Firmen und müssen sich kontinuierlich weiterentwickeln und verbessern, damit sie mit möglichst vielen Begeisterungsmerkmalen ihren Platz auf dem Verkäufermarkt einnehmen und dort bestehen können. Mit Schwächen in Leistungs- oder Basismerkmale sollte man da besser nicht auffallen.

Was bedeutet die Veränderung der Marktbedingungen für produzierende Unternehmen von heute? Diese Frage muss sich jedes Unternehmen ständig neu stellen. Die Qualität der Produkte ist eine Grundvoraussetzung, die vom Kunden gefordert wird. Produkte müssen heute in kürzester Zeit, kostengünstig und innovativ entwickelt und produziert werden. Entscheidend hierfür ist die Reduzierung der nicht wertschöpfenden Tätigkeiten in allen Bereichen einer Organisation. 

Die Anforderungen vor allem an die Produktion sind vielschichtig. Um heutzutage wettbewerbsfähig zu sein, müssen Fertigungsbetriebe ganzheitliche Verbesserungsstrategien (bspw. mit Hoshin Kanri) entwickeln, die nicht nur die Prozesse, einzelne Abteilungen oder andere Bereiche in den Unternehmen verbessert, sondern das komplette Unternehmen.

Die Notwendigkeit das Controlling zu ändern

Die schnellen Veränderungen auf den Märkten machen es notwendig, dass neue Bewertungsstrukturen geschaffen werden. Früher bestand das Ziel hauptsächlich darin, eine hohe Wirtschaftlichkeit durch eine hohe Auslastung der Produktion zu erreichen. Da eh jedes Teil verkaufbar war, war auch jeder Handgriff wertschöpfend. Heute zählen kurze Durchlaufzeiten, höchste Lieferperformance, Flexibilität und vor allem höchste Qualität bei unendlichen Varianten zu den wichtigsten Zielen der Produktion. Die Ziele orientieren sich stärker an der Schnelllebigkeit des Marktes und den Kunden.Durch die Entwicklung der Lean-Philosophie bei Toyota ist deutlich geworden, dass die Fokussierung auf fließende Prozesse mehrere Ziele verfolgt. Die Senkung der Durchlaufzeit wirkt den ansteigenden Gemeinkosten entgegen. Aufgabe der Unternehmen ist es, eine Zielkonformität zwischen den Markt- und Betriebszielen herzustellen. Es müssen Prozesse geschaffen werden, die durch Auslegung kurzer Durchlaufzeiten und sicheren Prognosen der Liefertermine höchste Qualität garantieren.

Im Gegensatz dazu steht, dass die Wirtschaftlichkeit der Produktion eine hohe Kapazitätsauslastung erfordert. Bei klassischen tayloristisch gedachten Produktionseinheiten kann dies nur über höhere Auftragsbestände erfolgen, die wieder eine direkte negative Auswirkung auf Kosten, Lieferperformance und Qualität haben. Hier entsteht ein Konflikt zwischen den Markt- und Unternehmenszielen.

Klassisches Controlling vs. Lean Controlling

Eine der wichtigsten Säulen des Controllings ist die Kostenrechnung und die damit verbundene Kalkulation. Man unterscheidet hier zwischen der klassischen vertikalen oder wertstromorientierten und der horizontalen Kostenrechnung.

In der klassischen Kostenrechnung der Unternehmen wird davon ausgegangen, dass die Produktion immer annähernd voll und gleichbleibend ausgelastet ist. Tatsächlich kommt es bedingt durch Abrufschwankungen sowie durch ungleichmäßige Prozesse (jap. Mura und Muri) immer wieder zu einer nicht ausgelasteten Produktion. Die Kosten für stehende Anlagen und Maschinen werden kalkulatorisch meist nicht und falls doch, dann lediglich über prozentuale Pauschalzuschläge erfasst. Es werden in der klassischen Kalkulation die reinen Bearbeitungszeiten kalkuliert und Zykluszeiten nicht berücksichtig. Es gibt nur einen Stundensatz pro Anlage. Dieser wird meist einmal berechnet und bleibt dann über einen fixen Zeitraum unangetastet. Dieser Stundensatz berechnet sich in der Regel aus der Summe der Personal- und Sachkosten, der AfA und Umlagekosten des Unternehmens geteilt durch die rückgemeldete Gesamtarbeitszeit. Ausfallszeiten werden prozentual von der Gesamtarbeitszeit abgezogen.

In der klassischen Kalkulation werden alle Vollkosten der Kostenstelle auf die täglich zur Verfügung stehende Arbeitszeit umgelegt. Es wird angenommen, dass alle Teile, die an einem Tag produziert werden, zu 100% verkauft werden. Deswegen muss die Maschine auch immer laufen. Das ist der entscheidende Denkfehler! Die wertstromorientierte, horizontale Kalkulation bezieht sich im Gegensatz zur klassischen Kalkulation auf die tatsächlich „verkaufte Zeit“ pro Tag.

Die wertstromorientiere Kalkulation bezieht sich also immer auf die Zeit, die dem Kunden tatsächlich verkauft wird. Der Taktgeber gibt dabei die verkaufbare Fertigungszeit vor. Alle Nicht-Taktgeber im Wertstrom können nicht ihre komplette Kapazität verkaufen und haben damit nicht nutzbare Kapazität.

Mittels einer PQ/PR-Analyse (engl. Product Quantity Process Routing) werden die einzelnen Wertströme mit den zugehörigen Prozessschritten detailliert erfasst. Jeder Prozessschritt wird nach dem 5-Zeiten-Modell untersucht. Die einzelnen Zeiten werden mit der Summe aller an den Kunden verkauften Teile oder Varianten multipliziert. Die daraus resultierende Zeit ist die tatsächlich verkaufte Zeit, auf die die anfallenden Vollkosten umgelegt werden müssen. Des Weiteren wird aus einem Wertstrom eine eigene Kostenstelle generiert, die alle Personal- und Sachkosten, AfA, Umlagen und sonstige Kosten beinhaltet.

Durch die Zusammenlegung der Kosten bezogen auf die tatsächlich verkaufte Arbeitszeit ist gewährleistet, dass alle Kosten der sich im Wertstrom befindlichen Anlagen und Menschen zu 100% gedeckt werden. Da sich der Plankostensatz auf die verkauften Stückzahlen und benötigten Kapazitäten der einzelnen Artikel bezieht, kann so bei Marktveränderungen schnell in der PQPR berechnet werden, wie sich die Plan-Herstellkosten pro Artikel verändern. Ziel ist es hier immer kostendeckend zu kalkulieren.

Über die PQ/PR kann außerdem die vorhandene Kapazität ausgewertet werden. Die Bearbeitungszeiten multipliziert mit den verkauften Stückzahlen ergibt die benötigte Personal- und Maschinenkapazität. So kann schnell bewertet werden, ob ein Wertstrom Unter- oder Überkapazität hat und entsprechend reagiert werden. Ein weiterer Vorteil der horizontalen Kostenstelle ist es, dass Veränderungen in den Kosten, z.B. bei der Umlage, nicht in jeweils mehreren Kostenstellen verwaltet werden müssen, sondern nur in einer. In der wertstromorientierten horizontalen Kostenstellenrechnung wird der Wertstrom zugrunde gelegt. Deshalb wird auf Prozesseben versucht mit nicht kreuzenden Wertströmen zu arbeiten. Alle Anlagen oder Arbeitsplätze, über die mehrere Wertströme laufen, können nur über Umlageschlüssel indirekt auf die horizontale Kostenstelle umgelegt werden. Sind aber alle Kosten direkt der Kostenstelle zuordbar, können diese direkt bei Veränderung in einer Kostenstelle angepasst werden und alle Veränderungen der Kostenstelle sind direkt in der PQPR für alle Artikel im Wertstrom sichtbar. Damit ist jede Kostenstelle ein Unternehmen im Unternehmen und folgt den Prinzipien der G&V.

Fazit

Wichtigster Schritt zu einer wertstromorientierten Kalkulation ist das Lösen vom klassischen Abteilungsdenken in allen Bereichen. Es müssen die unterschiedlichen Wertströme im Unternehmen identifiziert und eine langfristige Strategie für diese entwickeln werden.

Ziel muss es immer sein, alle Kosten die im Unternehmen entstehen, effektiv zu decken und für die Zukunft weitere Gewinne bzw. vertretbare Preisnachlässe zu erwirtschaften. Eine elementare Aufgabe wird es auf diesem Weg ebenfalls sein, dass Material durch das Unternehmen fließt und nur das produziert wird, was der Kunde tatsächlich bestellt. Wichtig hierfür ist es, mit der PQ/PR alle Produkte zu erfassen. Die Deckung der Real-/Vollkosten zu 100% bezogen auf die tatsächliche Auslastung im Unternehmen muss allerdings das wichtigste Ziel sein. Durch die klassische Kostenermittlung kommt es in Phasen, in denen die Auslastung des Unternehmens gering ist, immer wieder zu massiven Gewinnschmälerungen und es kann nicht oder nur mit massivem rechnerischem Aufwand nachgeprüft werden, ob die Fertigungskosten tatsächlich gedeckt sind. Mittels der PQ/PR mit der Belastungstabelle und einfachen horizontalen Kostenstellen kann schnell durch einfache Anpassung der tatsächlich benötigten Mengen von Artikeln die Veränderung der Kostenverteilung nachvollzogen werden. Außerdem entfallen große Berechnungstabellen für viele kleine einzelne Kostenstellen. 

Durch die dadurch entstehende Transparenz und dem Wissen, wie und vor allem, dass die Real- oder Vollkosten zu 100% direkt gedeckt sind, können ungenaue Zuschläge entfallen. Die tatsächlichen Kostentreiber sind sichtbar. Optimierungen können jetzt tatsächlich nach dem Verursacherprinzip gestartet werden. Dies führt dazu, dass die Angebotsstrategie gegenüber der Konkurrenz aggressiver sein kann, da Unternehmen genau die eigenen „Schmerzgrenzen“ und die tatsächlichen Herstellkosten kennen. Und das alles kann sogar im SAP-Standard (ERP2) abgebildet werden.


Literaturempfehlung, Quellen und Bildnachweis

Zapp, Winfried / Ahrens, John:

Von der Prozess-Analyse zum Prozess-Controlling: Analyse - Verfahren - Praxisbeispiele 

Auflage 1, Wiesbaden, Springer Gabler, 2017 (ISBN-10 9783658131708, ISBN-13 978-3658131708)

 

Nanninga, Uwe:

LEAN CONTROLLING: KONSEQUENZEN FÜR DAS CONTROLLING

Independently published, 2020 (ISBN-10 1677219742, ISBN-13 978-1677219742)

 

Seidel, Eberhardt / Strobel, Heinz:

Ökologisches Controlling Zur Konzeption einer ökologisch verpflichteten Führung von und in Unternehmen

Auflage 1, Wiesbaden, Springer Gabler, 2013 (ISBN-10 3322825450, ISBN-13 978-3322825452)

 

 

 

 

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